Die erste Nacht
Ich steh auf einem Hügel, die Luft ist mild. Eine Landschaft ist nicht zu sehen. Vielleicht liegt sie im Nebel. Vielleicht gibt es keine Landschaft.
Aus mir heraus fließen alte Lasten. Gegenstände und Menschen auch. Kleine, winzige Menschen, die stolpern und sich mühsam aufrappeln um weiter zu kommen. Große Menschen, die ihre Farbe verloren haben und gebeugt wegschleichen. Eingepacktes kullert blind den Hügel hinunter. Anderes kippt und schlingert. Ein unruhiges Bild. Kaum Geräusch.
Ich habe Angst und schlage die Hände vors Gesicht. Bitte, flüstere ich, wenn ihr alle geht, bin ich doch ganz allein. Ich weiß nicht wohin ich dann gehen kann. Ich kenne nur euch.
Ein Wesen steht in der Stille neben mir. Es ist ganz gesund und fühlt sich so an, wie ich mich als ich Kind gefühlt habe, heile und froh. Seine Wärme umfasst mich. Ich weine vor Einsamkeit und Glück. Ach, geh nur, haucht mir das Wesen ein, dass ist der richtige Weg. Es ist ein guter Weg und du kannst ihn gehen. Ich stehe alleine auf einem Hügel. Da ist nichts. Ich gehe los.
Die zweite Nacht
Derselbe Hügel, keine Landschaft. Meine Freundin, die schöne Frau, steht neben mir. Sie schimmert in allen Farben und ihre Haare sind golden. Sie ist so schön und klug. Sie zieht ihre Gesten weit, dahin wo die Zukunft in prächtigen Sonnenuntergängen und blauen Meeren wohnt.
Ich sehe auf meine Schuhe. Ich bin grau wie eine Eidechse im Schatten. Wird es auch grau gehen, mein Leben? Das Wesen ist wieder neben mir.
Die schöne Frau erzählt die Landschaft. Die Landschaft taucht aus dem Nebel auf, sie glitzert und leuchtet. Bahnen aus Licht ziehen in der Landschaft, weit unter uns, auf. Das Wunderland ist schön und prächtig.
Das Wesen schaut mich an und nickt. Ja, denke ich, es wird gehen. Es ist gut so. Stille und Frieden. Die Landschaft verschwindet sanft.
Die dritte Nacht
Ich bin glücklich und voller Kraft, alle Dinge bekommen ihren Platz zugewiesen. Ich versorge sie mit leichtem Herzen. Da ist ein Stoff, eine cognacfarbige Spitze aus Nylon. Nichts besonderes. Aber ich erinnere mich, einen Hosenanzug wollte ich daraus machen. Oh, lache ich und drehe mich zu P, meinem Handwerker, um. Er hockt auf dem Boden und ausbessert Holz aus. Kannst du bitte mal Maß nehmen und einen Hosenanzug aus diesem Stoff machen? P. nimmt mit dem Zollstock, nimmt Maß und schreibt die Maße gewissenhaft auf seinen Zettel. Ich wende mich wieder den anderen Dingen zu. Alles geht leicht, doch ich habe vergessen P. zu fragen, ob er das überhaupt machen will und kann. Ich drehe mich noch einmal zu ihm um und sehe in sein ruhiges Gesicht. Ist das in Ordnung, P., kannst du das machen? Ja, sagt er. Gut, sage ich.
Ich stehe in dem Hosenanzug auf dem Hügel. Es ist nicht mein Körper, der darin steckt. Es ist etwas anderes, aber es gehört zu mir. Alles ist hell und einfach. Ich bin ganz und gar verletzlich, aber nicht verletzt. Friedvoll stehe ich auf dem Hügel und der Tag ist leicht. Es ist meine Seele, die da steht. Alles ist gut und voller Kraft.
Berlin, 2019/2020